Die Notkirche in Solingen-Wald

Superintendent Alfred Thieme. Quelle: Evangelische Kirche Wald

In Wald war Pfarrer Alfred Thieme (1893–1973) seit dem 4. Dezember 1927 in der ersten Pfarrstelle tätig. Er schloss sich früh den „Deutschen Christen“ an, die die totalitäre Staatsidee des Nationalsozialismus unterstützten und eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Lehre vertraten.

Auf der Kreissynode im August 1933 wurde Thieme mit großer Mehrheit zum Superintendenten des Kirchenkreises gewählt. Nach seiner Wahl ließ er in den Solinger Gemeinden eine Erklärung verlesen, die eine völkische Umwandlung des Christentums propagierte:

„Die Nationalkirchliche Einung Deutsche Christen setzt sich ein für die Überwindung und Beseitigung alles jüdischen und fremdvölkischen Geistes in den kirchlichen Lehr- und Lebensformen und bekennt sich zum Deutschen Christentum als der artgemäßen Religion des deutschen Volkes. Christus ist nicht Sproß und Vollender des Judentums, sondern sein Todfeind und Überwinder.“

Erklärung der nationalkirchlichen Bewegung Deutsche Christen, die Thieme 1933 in allen Solinger Gemeinden verlesen ließ.

Diejenigen Pfarrer, die die völkische Umdeutung des Christentums ablehnten und sich deshalb der Bekennenden Kirche anschlossen, wie Pfarrer Lutze in Dorp, verlasen die Erklärung nur unter Vorbehalt.


Der Fabrikant Willy Klein und der Rektor der evangelischen Volksschule „Roter Esel“ Heinrich Hinzen gründeten 1934 in Wald eine Bekenntnisgemeinde. Da das Presbyterium eine Nutzung der kirchlichen Gebäude durch die Mitglieder der Bekennenden Kirche nicht zuließ, erwarb Klein 1935 einen Raum an der heutigen Adolf-Kolping-Straße, der zur Notkirche umgebaut wurde.

Die Ablehnung des Gesuchs hatte das Presbyterium unter anderem damit begründet, dass man sich bereits eindeutig gegen die neuheidnische Deutsche Glaubensbewegung und die Lehren Alfred Rosenbergs positioniert und dabei gegen Pfarrer Thieme gestimmt habe, so dass kein Grund für eine Spaltung bestünde.

Im April 1938 wurde Vikar Hans Walter Wolff (1911–1993), nachdem er schon ein Jahr als Hilfsprediger für die Bekenntnisgemeinde tätig gewesen war, in Wald ordiniert. Ostern 1940 kam er wegen eines Rundbriefs mit der Gestapo in Konflikt, da er dazu aufgerufen hatte, aktiv für die Jugendarbeit der Gemeinde zu werben. Er kam mit einer Geldstrafe davon. Trotz seiner Einberufung zur Wehrmacht promovierte Wolff 1942 an der Universität Halle. Von 1946 bis 1949 war er wieder als Pfarrer in Wald tätig. Er forschte und lehrte später an verschiedenen Hochschulen über das Alte Testament.


„Aber was wird mit der heranwachsenden Jugend? Soll sie wieder wie unsre heidnischen Vorväter Schicksal und Tod für die mächtigsten Gewalten ansehen lernen? Wollen wir tatenlos zusehen, dass sie in den Schulen immer weniger und immer falscheres von Christus hören, dass man vor ihren Ohren die Kraft des Auferstandenen lästert und stattdessen unser Blut anpreist, das doch der Sünde und dem Tod unterliegt.“

Pfarrer Hans Walter Wolff, Osterbrief 1940, Quelle: Gestapoakte RW 58 63377, Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland

Superintendent Thieme wurde nach dem Untergang des NS-Systems strafversetzt. Ehemalige Anhänger der Deutschen Christen sammelten im Oktober 1950 Unterschriften für seine Rückkehr nach Wald. „Mehr oder weniger sind wir damals doch alle vom Nationalsozialismus infiziert gewesen und haben keinen Grund, auf unsere Brüder, die mehr exponiert waren, pharisäisch herabzusehen“, schrieb die Gruppe an die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz. Dem Gesuch wurde nicht stattgegeben.

Quellen:
– Archiv der Evangelischen Kirche Wald: Fotos Thieme und Wolff, Stellenanzeige, Eingliederungsformular und Presbyteriumsbericht
– Stadtarchiv Solingen: Foto Walder Kirche, RS 20502; Aufzeichnungen Ottilie Klein, Kl 179
– Familie Tobias: Fotos Notkirche
– Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland: Gestapo-Akte Hans Walter Woff, RW 58 63377
– Holger Ueberholz: „Die Walder Gemeinde im Dritten Reich“ in: „1000 Jahre Walder Kirche, Walder Kirchturm 1019-2019“, Solingen 2019, S. 28-37