Die wichtigste Rechtsgrundlage für die Strafverfolgung von NS-Tätern wurde das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945. Es ermöglichte die „Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben“.
Die ersten, die in Solingen tätig wurden, die Verantwortlichen für NS-Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, waren die Überlebenden selbst. Auch der von den Alliierten zum Oberbürgermeister ernannte Oskar Rieß (SPD) gehörte dazu. Er war selbst „Halbjude“, mit zahlreichen verfolgten jüdischen Solingern persönlich bekannt und bis 1933 Geschäftsführer des Solinger Spar- und Bauvereins gewesen, bis ihn die Nationalsozialisten seines Amtes enthoben.
Im Fokus der Strafverfolgung stand in Solingen besonders der Novemberpogrom. Er führte zu insgesamt zwölf Prozessen gegen 28 Beschuldigte vor dem Wuppertaler Landgericht. Die Angeklagten wurden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt, in zwei Fällen in Tateinheit mit Totschlag und Landfriedensbruch. Die höchste Strafe betrug drei Jahre Haft. Neun Angeklagte wurden freigesprochen.
„Die übrigen drei Angeklagten, die den gegen sie durchgeführten Prozeß offensichtlich auf die leichte Schulter nahmen, gaben zu, sich mit Brennmaterial auf den Weg zur Synagoge gemacht zu haben. Doch sei ihnen […] die SA bereits zuvorgekommen.“
Rhein-Echo am Juli 1949 zum Prozess um die Novemberpogrome
Am auffälligsten in seinen Aussagen war sicherlich der Angeklagte Artur Bolthausen, Sohn des Solinger Reisepioniers Julius Bolthausen, der seinen Judenhass auf seine Erfahrungen mit den Juden in Palästina zurückführte. Bolthausen war 1930 in die NSDAP eingetreten und hatte rasch Parteikarriere gemacht als Adjutant des Kreisleiters Dr. Helmuth Otto und zuletzt als Kreispropagandaleiter. „Es war mir eine Genugtuung, diesen Juden auf den Knien vor mir kriechen zu sehen“, sagte Bolthausen als Zeuge der Ermordung Max Levens aus. Der zu zwei Jahren Haft Verurteilte stellte später ein Gnadengesuch. Ihm wurden drei Monate erlassen.
Der bereits 1925 in die SA und NSDAP eingetretene „Alte Kämpfer“ Heinrich Krahne befürchtete für seine Tätigkeit als Polizeipräsident, aber auch für seine Befehle in der Solinger Pogromnacht zur Verantwortung gezogen zu werden. Er war zu der Zeit noch in Norddeutschland untergetaucht. Als er an Tuberkulose erkrankte, kehrte er im Januar 1951 nach Solingen zurück, wo rasch Ermittlungen gegen ihn eingeleitet wurden. Sein Prozess endete mit einem Freispruch, da sich inzwischen die alten Seilschaften wieder gefunden hatten und frühere belastende Aussagen zurückgezogen worden waren. Insbesondere der ehemalige Bürgermeister Rudolf Brückmann, der selber bereits freigesprochen worden war, behauptete, dass der damalige SA-Oberführer Krahne im November 1938 sogar für Ruhe und Ordnung gesorgt hätte, anstatt die Pogrome zu befehlen.
Bereits 1949 wurde ein Amnestie-Gesetz mit weitreichenden Folgen für die Strafverfolgung verabschiedet. Mit diesem ersten „Straffreiheitsgesetz“ sollte nach Ansicht des NRW-Justizministers Arthur Sträter (CDU) bereits fünf Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus den „politischen Gegnern der Demokratie von gestern die Wohltat einer Amnestie zuteil werden“. Der Historiker Norbert Frei schätzt, dass von dieser Amnestiegesetzgebung zehntausende NS-Täter profitierten.
Quellen:
– Stephan Stracke: Der Novemberpogrom 1938 in Solingen, Solingen 2018
– Stadtarchiv Solingen: Foto Oskar Rieß und Prozessberichterstattung Rheinische Post
– Dr. Haroun Ayech, Freundeskreis Erwin Bowien e.V.: Skizzen Erwin Bowien, Gerichtsprozess Wuppertal 1946