Johannes Lutze

Nachkriegs­aufnahme von Pfarrer Johannes Lutze. Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 27906

Der zweite Beitrag befasst sich mit Pfarrer Johannes Lutze, am 8. Mai 1897 in Witzke, Westhavelland geboren, verheiratet, zehn Kinder. Er wurde 1932 Bezirkspfarrer in Solingen-Dorp und war von 1945 bis zu seiner Pensionierung Superintendent von Solingen. Er starb am 8. Mai 1991 in Solingen.

Pfarrer Lutze stand als Anhänger der Bekennenden Kirche im Presbyterium seiner Gemeinde zunächst einer Mehrheit der streng nach dem Führerprinzip organisierten Bewegung der Deutschen Christen (DC) gegenüber. Um eine offene Konfrontation zu vermeiden, stellte Lutze immer wieder Anträge, die er jeweils vor der Abstimmung wegen Aussichtslosigkeit zurückzog – angeblich weil das Presbyterium dafür noch nicht reif sei. Der Erfolg war, dass durch die Diskussion der Anträge die Position der bekennenden Minderheit trotzdem vertreten werden konnte. So schaffte er es durch beständige Argumentation, das DC-Presbyterium mehrheitlich in ein Bekenntnis-Presbyterium umzuwandeln.

Lutze verkleidete seine Kritik am NS-System öffentlich in Bildern und Gleichnissen, sodass die Gestapo ihm nur selten etwas nachweisen konnte. Mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn wurden eingestellt, in einem Fall jedoch eine Schreibmaschine und ein Abziehapparat für fünf Monate beschlagnahmt.

Nachdem in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Solinger Synagoge brannte, jüdische Geschäfte, Praxen und Wohnungen verwüstet, Jüdinnen und Juden misshandelt, inhaftiert und im Falle des kommunistischen Journalisten Max Leven erschossen wurden, wählte der Pfarrer in seiner Predigt am darauf folgenden Buß- und Bettag eindringliche Bilder, um das geschehene Unrecht anzuprangern.

„Wachet und betet! … Jesus sagt es seinen Jüngern in der Gethsemanenacht. Der Feind hat sein Todesurteil schon gesprochen. Hass regiert die führende Schicht in Jerusalem und die Volksmenge lässt sich aufhetzen und schreit: ‚Kreuzige ihn!‘ … Man ist mit Schwertern und Spießen unterwegs, um im Namen Gottes die Wahrheit und die Gerechtigkeit und die barmherzige Liebe gefangenzunehmen und so zum Schweigen zu bringen….Die Versuchung ist für uns sehr groß, nun eben nicht mehr im klaren öffentlich Bekennen zu Jesus zu stehen und zu seinem Wort und zur Heiligen Schrift, nun eben ein Stück der geschenkten Wahrheit nach dem anderen preiszugeben.“

Von Johannes Lutze ca. 1980 überarbeitete Fassung der Predigt nach der Pogromnacht, in der er Jerusalem als Gleichnis für Berlin nahm.
Die Dorper Kirche. Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 17697

Pfarrer Lutze kam auch in diesem Fall mit einer Vorladung davon. Der Solinger Kriminaloberassistent Max Otto bemerkte 1939 dazu: „Das Konzept [der Predigt] hat vorgelegen und ließ erkennen, daß der Sinn der Ausführungen, wie sie im Konzept vermerkt sind, nicht so gemeint sind, wie sie aufgefasst wurden, denn er ist als ‚Bekenner‘ dafür bekannt, und macht auch selbst keinen Hehl daraus, daß er mit seinen Ausführungen immer bis an den Rand des Möglichen geht.“

1986 berichtete Lutze einer Projektgruppe der Hauptschule Krahenhöhe unter Leitung von Karl-Rainer Broch für das Video-Projekt „Spuren – Nationalsozialismus in Solingen“, wie er sich gegen die Vorwürfe der Gestapo abgesichert hatte. Seine Predigten schrieb er vor und lernte sie auswendig, so dass er immer nachweisen konnte, dass er nichts Verbotenes gesagt hatte, auch wenn die Zuhörer seine Worte wohl zu interpretieren wussten. Deutlicher habe er nicht werden können, da er seine Familie nicht in Gefahr bringen wollte.

Ausschnitt aus dem Film „Spuren – Nationalsozialismus in Solingen“ von Schülerinnen und Schülern der Hauptschule Krahenhöhe unter Leitung von Karl-Rainer Broch 1986

Quellen:
– Stadtarchiv Solingen, RS 27906 und RS 17697
– „Spuren – Nationalsozialismus in Solingen“, Video-Projekt der Hauptschule Krahenhöhe, Karl-Rainer Broch, 1986
– Gestapo-Akte Johannes Lutze, Landesarchiv NRW Rheinland, RW 58 Nr. 13372
– Horst Sassin: „Glaube mit Konsequenz: Einsatz für verfolgte Juden“, in: Die Dorper Kirche, Solingen 2017.