„Mischlinge Ersten Grades“

Die Behandlung und Verfolgung von Kindern aus einer „Mischehe“ hing von verschiedenen Faktoren ab. Die beiden 1919 und 1922 geborenen Söhne von Albert Tobias – Albert Ernst und Siegfried – wurden erst 1934 als Jugendliche evangelisch getauft. Im selben Jahr verließen sie vorzeitig das Humboldtgymnasium, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch keine Verordnung gab, die das verlangt hätte. Albert Ernst begann eine Ausbildung zum Textilkaufmann, Siegfried wechselte auf die Volksschule Altenhofer Straße.

Nach Abschluss seiner Ausbildung wurde Albert Ernst Tobias regulär zum Arbeitsdienst und anschließend zum Militärdienst verpflichtet. Im April 1940 entließ man ihn, nachdem ein neuer Erlass „Halbjuden“ aus der Wehrmacht ausschloss. Siegfried Tobias wurde im Oktober 1941 trotz des Ausschlusses von „Mischlingen ersten Grades“ noch Rekrut, vermutlich unerkannt. Als Bordfunker kam er im Herbst 1942 nach Russland. Hier fiel wohl im Rahmen einer Beförderung seine teil-jüdische Herkunft auf, und man schickte ihn im Dezember 1942 zurück nach Solingen.


Warum die beiden Tobias-Brüder nicht, wie eigentlich üblich, ab 1944 in Arbeitslager verschleppt wurden, ist nicht bekannt. Ihre Mutter stellte nach dem Krieg dem ehemaligen Walder NSDAP-Funktionär Josef Nicolini einen „Persilschein“ für seine Unterstützung aus. Möglicherweise hatte er die beiden in seinem Betrieb dienstverpflichtet.

„Im Zuge der Endlösungsvorhaben sollen die Nürnberger Gesetze gewissermaßen die Grundlage bilden, wobei Voraussetzung für die restlose Bereinigung des Problems auch die Lösung der Mischehen- und Mischlingsfragen ist.“

Protokoll der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942

Der Futtermittelhändler Nicolini hatte auf dem Wege der Dienstverpflichtung auch versucht, dem „deutschblütigen“ Max Wagner zu helfen, dessen beide Söhne Egon und Artur zusammen mit seiner geschiedenen jüdischen Frau aus Düsseldorf nach Lodz/Litzmannstadt deportiert worden waren. Die Anforderung der Jungen wurde zwar an die Gestapo in Lodz übermittelt, blieb aber letztlich erfolglos.

Im Mai 1942 verhinderte das schwebende Verfahren noch, dass die Kinder aus dem Getto „ausgesiedelt“ und getötet wurden, aber im Dezember 1942 erreichte den verzweifelten Vater die Nachricht, dass Egon und Artur bereits im September zu einem Arbeitseinsatz „nach Osten“ abkommandiert und während des Transports verstorben seien. In Wahrheit gehörten die Brüder zu den Tausenden Kindern aus dem Getto, die nach einer „Räumungsaktion“ in Chelmno/Kulmhof in LKW vergast worden waren.

Quellen:
– Familie Tobias, Privataufnahmen
– Staatsarchiv Lodz APL PSZ Sig. 39/278/0/19/1291, Bl. 1032 und 1033, Eingabe Egon und Artur Wagner