»… und laut zu sagen: Nein.«

Die Ausstellung

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Die erste Ausstellung des Vereins Max-Leven-Zentrum Solingen e.V., die bis auf weiteres im Zentrum für verfolgte Künste gezeigt wird, legt die Basis für die Entwicklung der zukünftigen Bildungs- und Gedenkstätte an der Max-Leven-Gasse. Sie zeigt Aspekte von Widerstand und Verfolgung, die Täterseite ebenso wie die Mehrheitsgesellschaft, die Auswirkungen des NS-Systems und des Krieges auf unsere Stadt. Welche Formen, Strategien und Bedingungen gab es für Widerstand gegen das NS-System in Solingen? Wie wirkte er, wo scheiterte er? Welche Auswirkungen hatte fehlender Widerstand?

HINWEIS: Derzeit sind nicht alle Tafeln im Museum zu sehen, sondern ein Teil im alten Bahnhof am Südpark!

Foto: Daniela Tobias

Die Kernelemente der Ausstellung sind Objekte, an denen die lokale Geschichte während der NS-Zeit exemplarisch aufgezeigt werden. Teils sind es Dokumente aus Privatbesitz von Betroffenen, teils Dokumente aus dem Verwaltungsapparat des NS-Systems, teils Aufzeichnungen aus der Nachkriegszeit. Sie zeigen unterschiedliche Perspektiven, und ihnen liegen unterschiedliche Intentionen zugrunde.

Die Ausstellung kann bei Weitem nicht alle Menschen und Ereignisse abbilden, die für die damalige Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle spielten. Wir haben exemplarisch ausgewählt, dabei sowohl bekannte als auch bislang wenig erforschte Geschichten aufgenommen. Digital wird die Web-Dokumentation als Archiv daher weiter wachsen und durch fortlaufende Recherchen ergänzt.

Foto: Daniela Tobias

Der Titel

Der Titel der Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ über Solingen im Nationalsozialismus ist ein Zitat, ein Halbsatz, von Kurt Tucholsky. Er stammt aus dem Text „Die Verteidigung des Vaterlandes“, den er im Oktober 1921 unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel in der „Weltbühne“ veröffentlichte.


„Und so werden sie in ihren Büchern und in ihren Kollegs, in ihren Kirchen und in ihren Lesezirkeln davon sprechen, wie heilig, wie notwendig und wie edel der Krieg ist, sie werden das Sterben der andern loben, und wie süß es sei … Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.

„Die Verteidigung des Vaterlandes“, Ignaz Wrobel/Kurt Tucholsky, Die Weltbühne Nr. 40, 6.10.1921

So beschrieb Tucholsky die gesellschaftliche Dynamik im fiktiven Staat Angora, noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und seiner fatalen Euphorie für das Vaterland den Heldentod zu sterben. Noch immer fürchtete der Antimilitarist die Wirksamkeit dieser Erzählung, die seiner Ansicht nach den Widerspruchsgeist der Bürger lähmte. Weiter schrieb er:

„Es ist ja so schön, im großen Strom der Masse mitzuschwimmen – Windstoß und Wasserrichtung tragen das Schiff –; und wenn es dann so stolz dahinsegelt, denken die Leute, es fahre aus eigener Kraft … Es ist auch bekömmlicher, sich der Macht zu unterwerfen – wer sich vor ihr verbeugt hat, auf den geht ein Quentchen der großen Macht über, und aus einem kleinen Lehrer oder Delikateßwarenverkäufer ist über Nacht plötzlich ein gewaltiger Mann geworden.“

„Die Verteidigung des Vaterlandes“, Ignaz Wrobel/Kurt Tucholsky, Die Weltbühne Nr. 40, 6.10.1921
„Adolf-Hitler-Halle“ Solingen, Privataufnahme, undatiert, Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 27335

Heute erscheint Tucholskys Text nicht mehr nur als Verarbeitung des gerade erlebten Krieges sondern mutet auch prophetisch an, zwölf Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Er zeigt die Mechanismen auf, mit denen überhaupt erst die Masse entstand, gegen die ein „Nein“ zum lebensgefährlichen Widerstand werden konnte: die Verteilung von Macht und von Privilegien auf weite Kreise derjenigen, die als „Volksgenossen“ definiert wurden.

1932 zog die KPD mit Ernst Thälmann und dem Slogan „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ in den Wahlkampf. Die Partei malte bereits seit 1920 einen drohenden Krieg gegen die Sowjetunion an die Wand, sollte damit aber letztlich Recht behalten. Eine linke Einheitsfront konnte die KPD mit ihrer revolutionären Programmatik nicht zustande bringen, auch da sie die alleinige Führung für sich beanspruchte. Nach der Machtübernahme waren Kommunisten, Sozialdemokraten und linke Splitterparteien die ersten, die die brachiale Gewalt der neuen Machthaber zu spüren bekamen.

Mit dem weiteren Aufruf zum Massenstreik kurz vor ihrem Verbot im Februar 1933 hatte die „Bergische Arbeiterstimme“ keinen Erfolg mehr. Quelle: Stadtarchiv Solingen

Widerstand und Widerspruch

Protest, Widerstand oder Flucht
Anpassung, Begeisterung oder Ignoranz
Gleichschaltung, Rassismus und Verfolgung

Wenn wir uns heute mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus beschäftigen, sehen wir einerseits diejenigen, die versuchten laut „nein“ zu sagen und einen hohen Preis dafür zahlten. Wir wissen aber aus der historischen Forschung ebenso, dass es Spielräume gab, sich Anweisungen zu widersetzen und wo solches Verhalten ohne besondere Konsequenzen blieb. Historikerinnen und Historiker sprechen von „Konsensdiktatur“, wo möglicher Widerspruch unterblieb und „die Masse“ mehr oder weniger mitmachte. Terror allein reicht als Erklärung für den Erfolg des Nationalsozialismus daher nicht aus.

Die empirische und konzeptionelle Grundlagenarbeit zur Ausstellung durch Dr. Stephan Stracke wurde mit Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert.

Die Eröffnung der Ausstellung wurde mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert.

Quellen:
– Kurt Tucholsky/Ignaz Wrobel: „Die Verteidigung des Vaterlandes“, Die Weltbühne Nr. 40, 6.10.1921
– Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme vom 31. Januar 1933 und RS 27335