Hermann Richarz kam 1933 nach dem Theologiestudium und der Priesterweihe als junger Kaplan nach Solingen in die Pfarrei St. Josef Krahenhöhe. Zu seinen Aufgaben zählten die Jugendarbeit sowie Religionsunterricht an der in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche gelegenen Volksschule Krahenhöhe.
Dort geriet er spätestens seit September 1933 in Konflikte mit einigen NS-Lehrern. Von diesem Zeitpunkt an bis März 1935 datiert umfangreiches Aktenmaterial, das die Vorwürfe gegen den Kaplan belegt. So berichtete zunächst der Verbindungsmann zwischen der Schule und der Hitlerjugend, ab 1934 dann der kommissarische Schulleiter Arthur Gerling, der zu der Zeit auch Kreisamtsleiter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) war, an unterschiedliche Stellen, z. B. an den Kreisschulrat und den Leiter des Stadtamtes für Leibesübungen und Jugendpflege.
In den Gottesdiensten von Richarz saßen auch immer wieder Spitzel, die seine Äußerungen weitergaben. Außerdem wurden Abhörmikrofone in der Deckenkonstruktion versteckt, die beim Neubau in den 1960er Jahren entdeckt wurden.
„Herr Kaplan Richarz wiederholte obige Äusserung, dass er ein Heuchler sei, wenn er den Gruss spreche. Er habe in der Zeitung gelesen, dass nur der den Hitlergruss anwenden solle, der sich auch etwas dabei denke, sonst wäre es richtiger, ,Krummer Hund‘ anstatt ,Heil Hitler!‘ zu sagen.“
Bericht aus einer Anzeige gegen Kaplan Richarz
Am 7. Mai 1934 erstattete Gerling Anzeige bei der Gestapo Düsseldorf. Gegen Kaplan Richarz wurde in dem Schreiben unter anderem vorgebracht, dass er den Schülern die Teilnahme an Veranstaltungen der Hitlerjugend verboten, den Hitlergruß nicht erwidert und für den Kindheit-Jesu-Verein – einen Verein für Kinder, die die Missionstätigkeit unterstützen – geworben habe. Gerling forderte nicht nur ein Unterrichtsverbot, sondern auch die Abberufung von der Tätigkeit in der Pfarrei.
Zwei Tage später wurden sowohl Kaplan Richarz als auch Joseph Breuer, Pfarrer an St. Josef und Solinger Stadtdechant, verhört, Richarz ein weiteres Mal am 6. November 1934. Das Unterrichtsverbot durch den Regierungspräsidenten in Düsseldorf wurde am 7. Februar 1935 verhängt. Kaplan Richarz wurde schließlich Ende Januar 1936 durch den Erzbischof von Köln an die Pfarrei St. Vinzenz in Düsseldorf versetzt, wo er seine Aktivitäten gegen das NS-Regime weiterführte.
„… Wir wehren uns. – Nicht mit Dolchen und Waffen.
Auszug aus einem Flugblatt von Febr. 1935, das Kaplan Richarz mit den Worten „Grüß Gott! Euer Kaplan H. Richarz“ gezeichnet hat. Quelle: LAV NRW R, Bestand 58, Nr. 27802, Bl. 121
Wir wehren uns. – Nicht mit Haß und Zank und Streit.
Wir wehren uns. – Nicht mit Feindschaft und Hinterlist.
Wir wehren uns durch Festigkeit im Glauben.
Wir wehren uns durch Mannhaftigkeit im Bekennen.
Wir wehren uns durch Beharrlichkeit im Beten.
Wir wehren uns durch Treue zu Christus.
Wir wehren uns in Liebe zu Gott und dem Nächsten. …“
Am 18. August 1936 berichtete das Solinger Tageblatt über den Weggang von Hermann Richarz und lobte sein Wirken in Krahenhöhe in den höchsten Tönen. Die Gründe für den Wechsel wurden nicht thematisiert.
Richarz wurde am 17. November 1942 durch die Gestapo verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert. Dort war er im Block 26, auch „Pfarrerblock“ oder „Priesterblock“ genannt, als Häftling 41 553 interniert. Er überlebte und wirkte nach dem Krieg als Pfarrer in Troisdorf, wo er am 15. Juli 1985 verstarb.
Quellen:
– Landesarchiv NRW Rheinland, RW 58 Nr. 27802: Gestapo-Akte Hermann Richarz
– Stadtarchiv Solingen, SG 3421
– Kirchenarchiv St. Josef: Foto St. Josef
– Heinz Boberach: Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934-1943, Paderborn 1971
– Michael Schmid-Ospach; Hans Josef Hubert; Pressestelle des WDR (Hrsg.): Es gab nicht nur den 20. Juli. Dokumente aus einer Sendereihe des WDR; u. a. Heinz Kühn zu Widerstand im Dritten Reich. Beiträge von Walter Hensel, Wilhelm Niemöller, Hermann Richarz, Karl Klinkhammer, Paul Karalus. Jugenddienst Verlag, Köln 1979
– Solinger Tageblatt, 18.8.1936 via zeitpunkt.nrw