Das Gräfrather Rathaus

Das 1908 eingeweihte Gräfrather Rathaus war nach der Städtevereinigung 1929 nur noch eine Zweigstelle der Solinger Stadtverwaltung und blieb weiterhin Standort des lokalen Polizeireviers sowie Wohnsitz des ehemaligen Gräfrather Bürgermeisters Theodor von der Thüsen, der im „Dritten Reich“ Direktor der Straßenbahnen wurde.

Das Gräfrather Rathaus, Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 5691

Am 20. April 1933 wurde in der Parkanlage vor dem Rathaus eine „Hitler-Eiche“ zu Ehren des Führers gepflanzt. Wenige Monate später überlegte man, die Immobilie aus wirtschaftlichen Gründen aufzugeben, doch dann bezogen die Ortsgruppe der NSDAP Solingen-Gräfrath, die National­sozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die SA-Standarte 53 Büroräume in dem repräsen­tativen Gebäude. Den Vorplatz, den immer noch ein Kriegerdenkmal aus der Kaiserzeit zierte, nutzte man gerne als zentralen Sammelplatz für politische Aufmärsche.

Artikel zur Geschichte des Gräfrather Rathauses vom 25. Oktober 1942, Solinger Tageblatt

Die SA-Standarte, die ab 1936 im Gräfrather Kloster eine SA-Führerschule betrieb, richtete sich den ehemaligen Stadtverordnetensitzungssaal im ersten Obergeschoss zu einem Fahnensaal her. Hier fanden Feier­lichkeiten wie das jährliche Gedenken an die „Gefallenen“ des gescheiterten Hitler-Putsches vom 9. November 1923 statt. In dieses „Heldengedenken“ bezog man auch den Gräfrather Karl Paaß ein, der 1930 in Haan bei Auseinandersetzungen mit Kommunisten ums Leben gekommen war und dessen Grab sich auf dem gegenüberliegenden Friedhof befand.

Ehemaliger Sitzungssaal des Gräfrather Rathauses. Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 5694

Der Fahnensaal mit seinem beeindruckenden Buntglasfenster wurde in der NS-Zeit ebenso wie Schloss Burg zu einer beliebten Kulisse für sogenannte „Deutsche Trauungen“. Obwohl die Zeitschrift für Standesamtswesen Anfang 1938 diese in Düsseldorf entwickelte Form der Zeremonie als würdigen Rahmen für Hochzeiten mit großer Gästezahl vorstellte, scheint Solingen die einzige Stadt zu sein, für die es teils ausführliche Berichterstattungen und mehrere Heiratsanzeigen unter dieser Bezeichnung gibt – und dies erstaunlicherweise nur im Solinger Tageblatt und nicht etwa in der Rheinischen Landeszeitung, dem Parteiorgan. Leitende Parteimitglieder und ganze Formationen nahmen mitunter als Gäste teil, und hochrangige Funktionäre hielten Trauungsreden, bei denen die völkische Ideologie von Familie eine zentrale Rolle spielte. Für die Zeit von 1939 bis 1944 sind acht „Deutsche Trauungen“ bekannt, die im Gräfrather Rathaus stattfanden.

„Zu einer weihevollen Feierstunde gestal­tete sich am Samstag­nachmittag die Deutsche Trauung des Ortsgruppen­schulungsleiters Pg. Willi Radenberg mit Maria Müller. Der Ehrensaal der SA.-Standarte 53 im Gräfrather Rathaus, durch liebevollen Blumenschmuck festlich ausgestaltet, bot einen würdigen Rahmen, dessen Wirkung noch erhöht wurde durch die Lichtreflexe der strahlenden Nachmittagssonne.“

„Deutsche Eheweihe in Gräfrath“, Solinger Tageblatt, 31. Juli 1939

Im Krieg wurde das Gräfrather Rathaus stark beschädigt. Nach dem Wiederaufbau eröffnete am 7. August 1954 das Deutsche Klingenmuseum dort seine Pforten. Nach dem Umzug des Klingenmuseums und der Errichtung eines Anbaus bezog 1996 das neu gegründete Museum Baden (seit 2011: Kunstmuseum Solingen) die Räume. Seit 2015 ist auch das Zentrum für verfolgte Künste hier ansässig.

Quellen:
– Beate Battenfeld: „Rathäuser in Solingen. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft“, Solingen 2008
„Eine Hitler-Eiche am Gräfrather Rathaus“, Solinger Tageblatt, 21. April 1933
„Was geschieht mit dem Gräfrather Rathaus?“, Solinger Tageblatt, 9. August 1933
„Die Diensträume der Standarte 53 nach Gräfrath verlegt“, Solinger Tageblatt, 5. Oktober 1935
„Ein Feldherrenzeichen für die SA.-Standarte 53“, Solinger Tageblatt, 2. September 1933
„Das schmucke Gräfrather Rathaus“, Solinger Tageblatt, 25. Oktober 1942
„Die SA-Führerschule in Gräfrath eröffnet“, Solinger Tageblatt, 6. Januar 1936
„Karl-Paaß-Gedächtnisfeier“, Solinger Tageblatt, 10. November 1938
„Zu den Zusammenstößen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten in Haan“, Solinger Tageblatt, 11. August 1930 (Anm.: bei diesem Vorfall wurde auch der spätere Mörder von Max Leven, Armin Ritter, schwer verletzt.)
„Mit Beethoven und Goethe in die Ehe“, Duisburger Generalanzeiger, 14. Januar 1938
„Deutsche Eheweihe in Gräfrath. ,Enkel sein ist nichts, Urahn sein ist alles.’“, Solinger Tageblatt, 31. Juli 1939 (und 5. Folgeseite)